
Im Porträt: Aktivistin Jacqueline Kasha kämpft im homophoben Uganda um LGBTIQ-Rechte.
Von Simone Schlindwein, Kampala/Uganda
Schmerzgekrümmt sitzt Jacqueline Kasha auf ihrer Veranda in Ugandas Hauptstadt Kampala. „Pink Village“ nennt sie den Stadtteil Ntinda, weil sich hier gleich zwei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) angesiedelt haben, die sich für LGBTIQ-Rechte einsetzen. Eine davon, „Freedom and Roam Uganda“ (FARUG), hat sie 2003 selbst gegründet, es war die erste im Land. Bis heute gilt sie in der kleinen eingeschweißten Gemeinde als „Gründungsmutter“. Die 39-Jährige steckt sich eine Zigarette an. Ihre Rastas verbergen sich unter einer Schildmütze, sie trägt Jeans und T-Shirt und hält sich ihren Unterleib. Erst vor wenigen Tagen wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen. Ihre Gebärmutter musste aus medizinischen Gründen entfernt werden. „Jetzt bin ich nur noch zu einem Viertel eine Frau“, sagt sie. „Davor haben alle gesagt, ich sei nur eine halbe“.
Kasha hat sich schon als Siebenjährige mit einem System auseinandersetzen müssen, das Homosexualität mit lebenslangen Haftstrafen ahndet. Als sie damals ihren ersten Liebesbrief an eine Klassenkameradin schrieb, flog sie von der Schule. Als 13-jährige besuchte sie ein Internat. Dort fiel den LehrerInnen auf, dass sie in den Gemeinschaftsduschen ihre Freundinnen anstarrte: wieder Schulverweis. Als ihre Eltern sie auf dem nächsten Internat anmeldeten, sagten sie dem Direktor: „Sie ist krank, aber es gibt keine Heilung.“ Dieser entschied, sie in einem Einzelzimmer unterzubringen. Damals wusste Kasha noch nicht einmal, was Homosexualität ist.
Später, auf der Universität, versuchten Studienkollegen von ihr, sie zu vergewaltigen, um sie „auf Linie zu bringen“, berichtet sie. Im Internetcafé suchte sie online nach einem Anwalt und stieß dabei auf einen Bericht über LGBTIQ-Rechte. „Da verstand ich, dass ich lesbisch bin und dass Homosexualität in Uganda illegal ist“, sagt sie. Sie entschied, sich zu wehren.
Verkaufsschlager Homophobie. In Kampalas Nachtclubszene fand sie Mitstreiterinnen. Es war die Zeit, als die ersten Boulevardzeitungen gedruckt wurden. Gegen Homosexualität zu wettern, wurde in den 2010er Jahren zum Verkaufsschlager. Kasha fand sich – gemeinsam mit zahlreichen anderen – auf den Titelblättern wieder, sie wurden angegriffen, gemobbt, gedemütigt. Die LGBTIQ-Stammkneipe brannte ab. Irgendwann traute sie sich nur noch mit Gleichgesinnten auf die Straßen. „Wir schliefen alle zusammen bei mir, weil wir Angst hatten“, erinnert sie sich.
Als in einer Radio-Talkshow über Beziehungen diskutiert wurde, rief sie an und erklärte, dass es auch gleichgeschlechtliche Beziehungen gebe. „Das schlug landesweit ein wie eine Bombe“, erinnert sie sich. LehrerInnen wiesen im Sexualkundeunterricht die SchülerInnen an, Listen zu schreiben, wen sie unter den KlassenkameradInnen als homosexuell verdächtigten. Diese wurden öffentlich im Pausenhof verprügelt, um sie umzuerziehen. Ein Mädchen beging daraufhin Selbstmord. „Da dachte ich: genug ist genug“, sagt Kasha. „Wir müssen politisch werden!“
Seitdem reist sie um die Welt, hält Reden, startet Kampagnen, organisiert Demos, um gegen Ugandas Anti-Lesben- und -Schwulen-Politik zu mobilisieren. Sie gründete 2004 den Dachverband aller LGBTIQ-NGOs in Uganda mit: SMUG. Als 2009 Ugandas Parlament ein Anti-Homosexuellen-Gesetz debattierte, das sogar die Todesstrafe vorsah, bildeten Boulevardzeitungen sie und weitere SMUG-Mitstreiter auf der Titelseite ab, mit der Überschrift „Hängt sie!“. Daraufhin kam es zum Eklat: David Kato, ein Mitgründer von SMUG, wurde 2011 ermordet, die Beerdigung von der Polizei gestürmt.
Kasha blieb standhaft. Seitdem haben sich internationale NGOs für Ugandas Lesben und Schwule stark gemacht, viele sind ins Exil gegangen. Doch Kasha blieb. In den vergangenen Jahren wurde ihr standhaftes Engagement mit verschiedenen Menschenrechtspreisen honoriert, u.a. dem Right Livelihood Award, dem Alternativen Nobelpreis. Kasha gründete die LGBTIQ-Plattform kuchutimes.com. Diese wurde afrikaweit zur Anlaufstelle für Lesben, Schwule, Transgender und bisexuelle Menschen.
Mit Hilfe von Spendengeldern zog SMUG 2014 gegen das Anti-Homosexuellen-Gesetz vor Ugandas Verfassungsgericht – und gewann. Vier weitere Fälle sind noch immer anhängig, auch ihr eigener: Vor zwei Jahren wollte sie mit ihrer Partnerin ein Waisenkind adoptieren. Das Familienministerium verweigerte ihr das. „Ich weiß, da draußen ist irgendwo ein Kind, das mich als Mutter braucht“, sagt sie und hält sich den schmerzenden Unterleib: „Ich gebe nicht auf!“
Simone Schlindwein ist freie Journalistin in der Region der Großen Seen in Afrika und lebt in Kampala, Uganda.